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Heute war mit Abstand der schrecklichste Tag in meinem ganzen Leben. Nachdem ich erfahren hatte, dass meine Eltern schon seit Monaten getrennt waren, in meiner Anwesenheit jedoch so getan hatten, als wäre nichts gewesen, war nun der Tag gekommen, an dem ich mit meiner Mutter umziehen würde. Merkwürdig, dass sie mir nicht verraten wollte, wohin, und mit wem sie nun zusammen war. Angeblich sollte das eine Überraschung sein und sie meinte, dass ich mich bestimmt riesig freuen würde.
Ich war noch immer sauer auf sie, schließlich hätte sie mir sagen können, dass sie sich von meinem Vater getrennt hatte. Und die Art wie ich es erfahren hatte, war einfach grauenhaft gewesen.
„Schon komisch, dass ihr noch immer zusammen wohnt, obwohl deine Eltern nicht mehr zusammen sind.“, hatte mir meine Nachbarin zugeraunt.
„Wie bitte?“, hatte ich gefragt, während ich mein Getränk ausspuckte.
„Na, hast du etwa nicht gewusst, dass sich deine Eltern getrennt haben?“, fragte sie mit einem triumphierenden Lächeln.
„Doch..“, log ich und das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. Ich wusste genau, dass sie sich über ein „Nein“ mehr gefreut hätte, schließlich konkurrierte sie schon seit Anbeginn der Schulzeit mit meiner Mutter.
Nunja, das war ja jetzt egal. Ich saß im Auto und sah den vorbeiziehenden Bäumen hinterher. Mit jedem Kilometer verschwand mein altes Leben.
Ich war noch immer sehr schlecht gelaunt über das mangelnde Vertrauen, das mir meine Eltern entgegenbrachten. Hoffentlich kam ich wenigstens mit meinem neuen Stiefvater zurecht. Ich freute mich jetzt schon auf das Leben als Einzelkind.
Ja, das Leben als Trennungskind hatte schon seine Vorteile, dachte ich und musste unwillkürlich lächeln. Doch es hielt nicht lange an, denn meine Mum fuhr langsam in eine Einfahrt ein und blieb dann stehen.
Oh Gott, war mein erster Gedanke. Das Haus sah von außen riesig aus! War mein Stiefvater etwa reich? Das Haus glich fast einer Villa.
„Oh Gott.“, sprach ich meinen Gedanken nun laut aus. „Mum, hast du dir nen Millionär geangelt? Kein Wunder, dass du Dad verlassen hast.“
„Caty, er ist kein Millionär. Und vergiss bitte nicht: Dein Dad hat mich verlassen und nicht umgekehrt. Schau mal, da ist Christian.“, schwärmte sie mit einem vollkommenen Lächeln auf den Lippen, das ihr ganzes Gesicht zum Erstrahlen brachte.
„Mein Gott, dich hat es ja mächtig erwischt..“, murmelte ich und stieg dann aus um meinen Stiefvater zu begrüßen.
„Catherine! Es ist so schön, dich endlich kennenzulernen!“, rief Christian während er mit offenen Armen auf mich zu lief.
„Jaa…“, sagte ich skeptisch und ließ mich leblos von ihm umarmen. „Sie haben ein schönes Haus.“, stellte ich fest und Christians Gesicht erstrahlte noch mehr.
„Geh rein, sieh dich um, ich bring schon mal die Koffer rein.“
Das ließ ich mir nicht lange sagen und begann mit meiner Inspektion des riesigen Hauses.
Okay, eins stand fest, Christian war reich. Das Haus war schön eingerichtet. Sehr prachtvoll und stilistisch.
Ich betrat nun den zweiten Stock, in dem es lediglich 3 Zimmer und einen riesigen Flur gab. In dem Flur war eine kleine Sofaecke eingerichtet und eigentlich sah es hier aus wie in einem Wohnzimmer. Außerdem befand sich hier ein großes Badezimmer, das nur für mich zu sein schien. Ich wanderte mit meinem Blick weiter und entdeckte eine Tür mit der Aufschrift „Cat“. Das musste wohl mein Zimmer sein. Den letzten Raum, dessen Tür verschlossen war, würde ich mir später ansehen.
Ich betrat mein neues Zimmer und blieb dann überwältigt stehen. Oh Gott, es war einfach wunderschön!
Die Wände waren weiß und lila gestrichen, die Möbel waren aus Kiefer, der Boden aus Mahagoni. Außerdem hatte ich jetzt ein französisches Bett, über dem große pilzförmige Lampen hingen.
Zufrieden ließ ich mich auf das Bett fallen und stieß ein fröhliches Seufzen aus.
Später kam Christian rein und brachte meine Koffer.
„Gefällt dir dein Zimmer?“
Ich erwiderte sein Grinsen und gab zu: „Ja, sehr sogar.“
„Das ist gut.“, lächelte er. „Mein Sohn wird dir gleich beim auspacken helfen, wenn er vom Sport zurück ist. Du kannst dir in der Zeit gerne schon mal den Garten ansehen.“
„D-D-Dein…“ Ich schluckte kurz. „Sohn?!“ Hatte ich gerade richtig gehört? SOHN?
„Komm, ich zeig dir den Weg.“
Christian begleitete mich in den Garten, der wie erwartet riesengroß war. Neben der großen Terrasse auf der ein paar Sonnenliegen standen, befanden sich ein kleiner Pool und viele verschiedene Blumenarten.
„Hallo, Caty. Kann ich mal kurz mit dir reden?“, fragte meine Mum, die sich mittlerweile zu uns gesellt hatte. „Chris, würdest du uns kurz alleine lassen?“
„Wie gefällt es dir hier, mein Schatz?“, erkundigte sich meine Mum und streckte ihre Hand aus, um mir über den Kopf zu streichen. Ich wich geschickt aus, schließlich konnte ich ihr immer noch nicht ganz verzeihen.
„Es ist okay.“, antwortete ich kurz angebunden. „Christian scheint nett zu sein.“
„Ja, das ist er.“, schwärmte sie mit einem verträumten Lächeln.
„Aber warum hast du mir verschwiegen, dass er einen Sohn hat?“, fragte ich mit einer messerscharfen Stimme.
„Genauer gesagt, hat er einen Sohn und eine Tochter. Aber Caroline ist bei ihrer Mutter geblieben. Es tut mir leid, Caty, ich hätte es dir sagen sollen. Aber ich dachte vielleicht, dass es eine schöne Überraschung wäre, dass du einen neuen Bruder bekommst.“
„Ich hasse Überraschungen.“ Mit diesen Worten verließ ich den Garten wieder.
„Was denkt die sich eigentlich? Dass sie mir damit eine Freude bereitet?“, murmelte ich während ich wieder mein Zimmer betrat.
Erneut blieb ich wie angewurzelt stehen. Schockiert!
„Aaaahh!!!“, schrie ich und riss dem Idioten, der auf meinem Bett saß, meinen BH aus der Hand.
Empört ließ ich mich zu Boden sinken. „Was machst du hier, Anthony?“
„Ich helfe dir beim auspacken.“, erwiderte er gleichgültig.
„Nein, ich meinte WAS MACHST DU HIER?!?“
„Ich wohne hier.“
Ich gab ein leises, schrilles Kreischen von mir und erschrak mich selbst damit.
Plötzlich standen auch meine Mum und Christian im Zimmer, die aufgewühlt herbeigestürmt waren.
„Was ist passiert?“, fragte Christian.
„Caty.. früher oder später hättest du es erfahren müssen…“, meinte meine Mum besorgt.